Eine der stärksten Aussagen zur Kraft der Bildung kam dagegen ganz ohne Worte aus. Die Schülerin Kosima Shirazi erzählte auf ihrer Geige mit der Titelmelodie des Films “Schindlers Liste” eine Geschichte von tiefem Leid, aber auch von großer Schönheit und Menschlichkeit. Nicht nur hat sich die Tochter eines persischen Vaters und einer deutschen Mutter dieses Stück selbst für die Feier ausgewählt und damit eine Brücke zwischen drei Kulturen geschlagen. Sondern sie spielte sie auch auf einem 100 Jahre alten Instrument, das die beiden Weltkriege tatsächlich “miterlebt” hat und häufig nur unter Lebensgefahr gerettet werden konnte.
Der Wunsch nach Bildung und Chancen zur persönlichen Weiterentwicklung trieb schon die Gründer zunächst einer Realschule an Ostern 1818 an. Sie entstand in einem Stadtteil, dem laut Festredner Wolfgang Metternich das Bildungsbürgertum genauso wie eine Industrialisierung fehlten und der damals buchstäblich noch schlief. Dem Unterricht in der Wohnung des einzigen Lehrers folgten zahlreiche Umzüge, zum Beispiel ins Gasthaus zum Weißen Ross oder ins Rathaus, tatsächliche und drohende Schließungen und Geldnot, bis sich die Schule über ein Realprogymnasium zu einem Vollgymnasium entwickelt hatte. 1901 verließen die ersten sechs Abiturienten die Einrichtung. Metternich, der selbst an der Leibnizschule 1967 Abitur gemacht hat, schlug den Bogen über zwei Weltkriege bis zur Gegenwart und beschrieb die Stimmung noch in den 1920er Jahren als “konservativ, teilweise reaktionär. Man hätte dort die ,Feuerzangenbowle’ drehen können.” Arbeiterkindern sei klar gesagt worden: “Euch werden wir auch noch los.” Mit dem Neubau an der Gebeschusstraße sei 1960 “langsam ein neuer Geist eingezogen”, so der Historiker. Heute wünsche er der Schulgemeinde, “dass sie stolz auf die eigene Schule sein kann”, sich den großen Themen der Digitalisierung und der Migration erfolgreich stelle und “zumindest die Grundlagen für zukünftige Eliten” lege.
Auf dem Weg auf die große Bühne ist bereits Nathan Fischer, der als Papageno mit dem Vogelfängernetz auf die Jagd ging – nach Mädchen, nach neuen Ideen, nach dem nächsten Bildungsstern? Gefangen nahm er auf jeden Fall das gesamte Publikum mit seiner begeisternden Mozart-Arie. Er ist einer der 820 Schülerinnen und Schüler aus unterschiedlichen Kulturen, aus bildungsnahen und bildungsfernen Familien, die das gemeinsamen Ziel der Bildung eint und die sich täglich “die Grundlagen für die künftigen Eliten” erarbeiten. Sie lernen, spielen und sie musizieren gemeinsam wie der Chor der Fünft- bis Siebtklässler mit Streicher-Kammerorchester – in einer Harmonie, die unter die Haut geht.
Diese Kinder und Jugendlichen stehen bereits für die Wandlungsfähigkeit des Systems Schule, das der Leitende Schulamtsdirektor, Dieter Sauerhoff, in seinem Grußwort als Grundlage einer erfolgreichen Schule darstellte. Dazu kämen Anstrengungsbereitschaft und das beständige Vertrauen in die “Kraft des Verstandes und der Vernunft”, gepaart mit fürsorgendem Miteinander.
Die Integration in persona stand mit Stadträtin Sylvia Weber am Mikrofon, die vor allem den schwierigen Weg der Mädchen zu einer qualifizierten Schulausbildung an den Vorgängern der Leibnizschule beschrieb: “Die ersten Mädchen durften nicht in Mathematik, Physik und Chemie unterrichtet werden, mussten aber im Gegenzug 20 statt – wie die Jungen – 15 Gulden Schulgeld bezahlen.” Lob sprach die Dezernentin für Integration und Bildung der Schule aus, dass sie zum Jubiläum die Nazigeschichte der Institution aufgearbeitet hat. “Entwicklung braucht Zeit”, gab sie den Festgästen als Trost und als Aufforderung zu Geduld und Beharrlichkeit mit.
Diese Stimmung schienen die drei Musiker Nathan Fischer (Klavier), Sylvia Demgenski (Cello) und Kosima Shirazi (Violine) mit Edvard Griegs “Morgenstimmung” aus der Peer-Gynt-Suite aufzugreifen. Ihre Klänge breiteten sich sachte und unaufhaltsam wie immer kraftvoller werdendes Morgenlicht im Festsaal aus. Genauso wünschte auch Claudia Hemmling als Leiterin des Friedrich-Dessauer-Gymnasiums den Leibnizschülern in Anlehnung an ein Zitat des Universalgelehrten und Namensgebers: “Mögt ihr beim Erwachen so viele Einfälle haben, dass der Tag nicht zu reichen scheint, um sie alle aufzuschreiben.” Herzlich gratulierte dann “die kleine Schwester Helene Lange” alias Schulleiter Marc Peschke, dem “großen Bruder Gottried Wilhelm” zu seinem stolzen Geburtstag.
Mit aktuellen Herausforderungen und einigen Arbeitsaufträgen in Richtung Politik schloss sich langsam der Kreis der Gratulanten. “Mit dem Ringen um die Entscheidung, von G8 zu G9 zurückzukehren, hat die gesamte Schulgemeinde ein gutes Beispiel gegeben, wie man sich über kritische Themen auf demokratischem Weg auseinandersetzen kann”, lobte Claudia Gau als Vorsitzende des Fördervereins. Den Schulterschluss auf Elternseite machte Andreas Fiedler als Vorsitzender des Schulelternbeirats und nannte neuen Diskussionsbedarf “beim Ausbau der Medienkompetenz und der Ganztagsschule”.
Hier war es Zeit für Zukunftsmusik: Vier Saxophone (Jonas Neumann, Daniel Kaiser, Felix Hampel und Andreas Gehring) versetzten den Saal in Schwingung mit Filmmusik aus “Star Wars”. Dass dessen Episode IV “Eine neue Hoffnung” heißt und der Titel des Saxophon-Quartetts “Cantina” lautet, lädt durchaus zu Interpretationen zur Schulentwicklung ein.
Klare Worte an Verantwortungsträger im Publikum richtete Lehrerin und Ganztagskoordinatorin Katrin Beez. Sie sah in Lehrkräften “Lotsen” für Schülerinnen und Schüler, auch durch die Medienlandschaft. “Dazu braucht es wache, engagierte, kundige Lehrer, die Schüler inspirieren und wahrnehmen.” Das wiederum könnten sie besser in “kleinen Klassen, mit sinnvoller Ausstattung, gutem Lernmaterial, einem gut ausgebildeten und fest angestellten Ganztagsteam sowie genügend Lehrkräften, die sich nicht in den Sommerferien arbeitslos melden müssen.” Dass das vielfältige Ganztagsangebot die Schüler sogar in Entscheidungsnot bringt, lobte Schülervertreter Paul Harder, der schweren Herzens zwischen seiner Leidenschaft für Musik und jener für die Naturwissenschaften wählen musste – seine Entscheidung für die Musik aber nie bereut hat.
Mit ihrem Schlusswort hängte Schulleiterin und Gastgeberin Sabine Pressler wiederum die Messlatte für eine gute Schule hoch: “Es ist gut, dass wir ein Abbild unserer Gesellschaft an unserer Schule haben – und nicht mehr nur zehn Prozent der Gesellschaft, wie zu den Anfängen.” Diesen vielfältigen Schülern müsse eine gute Schule ein vielfältiges Angebot machen. Und schließlich stelle “eine gute Schule das Glück der Schüler in den Mittelpunkt.” Glück sei dabei nicht immer mit Spaß gleichzusetzen. “Sondern die Schüler sollen später einmal sagen, dass es sie heute glücklich macht, was sie damals mitbekommen haben.” Eines ist heute schon sicher: Ein großes Stück vom Glück wird für viele der Kinder und Jugendliche die Musik sein. Das sagte der Eltern-Lehrer-Chor zum Abschluss den Schülerinnen und Schülern voraus – mit dem Abba-Song “Thank you for the music”.
Musikalische Vorbereitung und Leitung: Jeannine Goerde, Jessica Walter, Thomas Winter.
Fotos: Foto Wachendörfer, Thomas Winter.
Wer sich Bilder kostenlos herunterladen möchte, kann sich gerne per Mail unter poststelle.leibnizschule@stadt-frankfurt.de an das Sekretariat der Leibnizschule wenden. Er/Sie bekommt dann einen Link und einen Freischaltcode zu den Bildern von Foto Wachendörfer zugemailt.