Matthias Zimmer – Abgeordneter zum Anfassen

Der Punkt geht an Matthias Zimmer. Er hat Wort gehalten. Im vergangenen September hatte der Frankfurter Bundestagsabgeordnete zwei neunte Klassen in den Bundestag nach Berlin eingeladen. Dann musste er kurzfristig absagen, versprach aber, die Schüler kurze Zeit später vor Ort in Höchst zu besuchen. Und dann war er da, als Politiker zum Anfassen.

Alle Blicke richteten sich auf ihn, als er die Interviewstunde selbst mit einer Frage an die Schülerinnen und Schüler eröffnete: „Muss man Abitur haben, um Bundeskanzler zu werden?“. „Ja“, meinten einige, „nein“, beruhigte der CDU-Abgeordnete. Man müsse aber mindestens 18 Jahre alt und deutscher Staatsbürger sein. Nur vorbestraft sein, das dürfe man nicht.
Ob der Bundestagsabgeordnete Zimmer diese Frage absichtlich vor einem Publikum mit Jugendlichen aus Einwandererfamilien gestellt hatte? Möglicherweise dachte der eine oder die andere in diesem Moment zum ersten Mal daran, dass auch ihm oder ihr mit der deutschen Staatsbürgerschaft diese Möglichkeit offen steht. Er oder sie erinnerte sich vielleicht an den Politik- und Wirtschaftsunterricht über die Wertegemeinschaft, die sich im Grundgesetz auf die Gleichheit vor dem Gesetz, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen und die Diskriminierungsverbote beruft. Zwei Stunden lang stellte sich Zimmer fortan den Fragen der Schüler. Zum Beispiel, ob er gerne Döner esse? Ja, er fotografiere ihn sogar, um die Fotos anschließend seinem Sohn zu schicken.
Was seine größten persönlichen Herausforderungen gewesen seien? “Meine erste Stelle als Hochschullehrer”, gab er zu. Dort musste er als Professor of German Studies an einer kanadischen Universität Vorlesungen in Englisch halten. Und später im Bundestag seine erste Rede. Er habe kein Problem, vor 1000 Leuten zu sprechen, aber vor dem Bundestag, das sei etwas Besonderes. Schließlich dürfe man dort nicht nur mit Beifall rechnen. Brennende Frage auch unter den Teenagern: Das Thema Flüchtlinge. Ein Schüler mit türkischen Wurzeln äußerte besorgt: „Herr Professor Zimmer, sind Sie nicht der Meinung, dass die Bundesrepublik von der Masse an Flüchtlingen überfordert werden könne? Schaffen wir das wirklich?“ „Ja, das tun wir vergleichsweise gut“, beteuerte Zimmer und verglich die Flüchtlingszahlen in Deutschland mit denen im Libanon. Dort komme ein Flüchtling auf vier Einwohner: „Das wäre so, als müssten wir 20 Millionen Flüchtlinge aufnehmen.“ Er führte aus, dass in Deutschland derzeit sogar ein Bedarf an Fachkräften für Ausbildungsberufe bestehe, für die es keine Bewerber gebe. Die Wirtschaft könne den Ansturm deshalb momentan verkraften, auch wenn es eine Herausforderung für die Gesellschaft bleibe. Außerdem sei es die beste Entwicklungspolitik, Menschen hier gut auszubilden, die eines Tages wieder in ihre Länder zurückkehren und am Aufbau der Zivilgesellschaft dort mitwirken könnten.
Die Probleme in den französischen Vorstädten führte Zimmer unter anderem darauf zurück, dass man den Menschen aus den ehemaligen Kolonien keine adäquaten Aufstiegschancen gegeben habe. Anders als in Frankfurt, wo Deutsche und Migranten Haustür an Haustür wohnten, hätten sich in Frankreich Ghettos gebildet.
Einige Schüler zeigten sich gegenüber dem Kampfeinsatz der Bundeswehr in Syrien besorgt und wollten wissen, ob die Regierung eines Tages auch Bodentruppen dorthin entsenden werde. Zimmer verneinte, dafür gebe es derzeit kein europäisches Mandat. Er könne sich ein solches auch nicht vorstellen.
Zwei Fragestunden mit Professor Zimmer – statt Mathe. Neben alltäglichen und weltpolitischen Gedanken erfuhren die Teenager auch, dass sie – in wenigen Jahren – Professor Zimmer als Kandidaten des Wahlkreises I in Frankfurt direkt wählen oder, was Zimmer stark anregte, selbst politisch aktiv werden können.

Text und Bilder: Klaus Schlüter