“Ich war elf, als mein bester Freund mit Schlägern gegen mich anrückte”

Mit dieser Bemerkung zieht der Rapper Ben Salomo zwei zehnte Klassen vom ersten Moment an in seinen Bann. Ben Salomo, der heute als Jude gegen Antisemitismus kämpft, hat im März die Klassen 10b und 10d per Videokonferenz im Ethik-Unterricht bei Theresa Rinser besucht. Wäre diese Veranstaltung in Präsenz gewesen, hätte jetzt wohl komplette Stille geherrscht.

Manche kennen Ben Salomo von "Rap am Mittwoch", dessen erste Staffel er moderiert hat. Eigentlich heißt er Jonathan Kalmanovich, genannt Jonni. Ben Salomo bedeutet "Sohn des Friedens". Er erhielt diesen Zunamen von seinem Vater bei seiner Bar Mizwa, also an dem Tag, an dem Juden religionsmündig werden. Er ist in Berlin-Schönefeld aufgewachsen und lebt dort bis heute, trotz seiner negativen Erfahrungen an diesem Ort. "Na klar bleib ich in Schönefeld, das ist schließlich mein Zuhause. Hier bin ich aufgewachsen, ich kenne diesen Ort besser als meine eigene Westentasche", teilt er mit.

Besonders in Erinnerung werden die vielen Geschichten bleiben, die er uns erzählt.  Ben Salomo und sein Partner, Christoph Giesa, nehmen sich Zeit, um alle Fragen zu beantworten. Sie haben zwar ein ganz anderes Programm geplant, mit einer Präsentation über ihn. Dann aber ist die Mehrheit der Zuhörer so interessiert, dass sie am Ende sogar überziehen müssen, weil der Fragen-Sturm einfach nicht aufhören will. Gleich zu Beginn erzählt er: "Meine erste Erfahrung musste ich mit elf Jahren machen.

Mein bester Freund und ich - damals, mit elf, wenn du jemanden als besten Freund bezeichnet hast, dann bedeutete das wirklich was. Wir trafen uns jeden Nachmittag an so Tischtennisplatten. Jeden Tag. Und dann fragte er mich eines Tages: "Jonni, wo kommst du her, was bist du?« Ihr müsst euch vorstellen, er hatte südländisches Aussehen, ich hatte südländisches Aussehen, und klar fragt man sich da, ist das ein Landsmann? Und ich wollte auch nicht lügen, es war gar keine Frage, also sagte ich, dass ich aus Israel komme und Jude bin. An seine Reaktion an dem Tag kann ich mich nicht mehr erinnern, aber dafür an den nächsten Tag. Es war wieder Nachmittag, Schule war vorbei, und ich wartete bei den Tischtennisplatten auf ihn. Und dann kam er, aber nicht alleine. Er kam, und hinter ihm waren zwei Jungs. Er kam so auf mich zu, und dann schubsten ihn diese beiden Jungs zu mir hin und er schlug mich. Ich versuchte natürlich, mich zu verteidigen, und schubste ihn gegen so einen Laternenpfahl. Er blutete übel. Und ich spürte drei Gefühle in dem Moment: Zum einen war ich unglaublich wütend. Wütend auf meinen besten Freund. Aber ich war auch enttäuscht und traurig, dass er mich so verraten hat. Aber Mitgefühl spürte ich auch. Er war immerhin mein bester Freund. Also ging ich zu ihm hin, und meinte so: »Ey Man, hast du dich verletzt?« Wenn wir uns heute über dem Weg laufen, grüßen wir uns vielleicht noch. Mehr aber nicht."

Auch von anderen Veranstaltungen hat Ben Salomo reichlich zu erzählen: Von Mädchen, die gegen den Willen ihrer Eltern zu der Veranstaltung gingen, von Leuten, die Videos von ihren Eltern auf dem Handy hatten, wie Juden den Koran verbrannten und die sehr erleichtert waren, als aufgeklärt werden konnte, dass dies eine Kunstaktion eines Niederländers war und dies nichts mit der Religion zu tun hat und von Kindern, die gestanden, dass ihre Eltern rassistisch sind. "Man merkt richtig: Die wollen mich nicht hassen. Die kriegen das zwar von ihren Eltern so gesagt, aber die wollen gar nichts gegen Juden haben", erklärt er.

Seine Zeit bei Rap am Mittwoch bereue er nicht. Der Deutschrap sei zwar eine ganz krasse und auch sehr antisemitische Szene, was letztendlich auch der Grund gewesen sei, warum er da ausstieg, aber trotzdem habe er dort viel gelernt. "Einmal kam ein Kollege zu mir. Er sagte mir, er unterstütze meine Meinung und gebe mir Recht, aber er könne dies öffentlich nicht sagen, dann würde er sich angreifbar machen." Seinen Namen konnte er uns nicht nennen.

Doch was bedeutet eigentlich "Antisemitismus"? Warum und wie ist er entstanden? Ben Salomo kann nicht nur gut erzählen, er kann auch gut erklären. So erfahren die beiden Klassen, dass Antisemitismus der Fachbegriff für die Diskriminierung von Juden ist. Dass er seinen Ursprung schon weit in der Vergangenheit hat. Allerdings nahm dieser Judenhass während der Herrschaftszeit der Nationalsozialisten im Dritten Reich deutlich zu, weshalb sie viele Konzentrationslager errichteten, so Salomo. Manche kennen vielleicht das KZ-Außenlager Walldorf, hier in der Nähe. Auch hier wurden Naziverbrechen begangen, beispielsweise politische Gegner oder Andersdenkende planmäßig getötet. Aber warum wurden diese Personen unschuldig hingerichtet? Kurz gesagt: Um einen Sündenbock für Misserfolge zu finden und Neid freien Lauf zu lassen. Die Deutschen waren zu der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg aufgebracht, da die sogenannten Reparationszahlungen für die Wirtschaftskraft zu hoch waren. Das sind Zahlungen, die die Deutschen als Verlierer des Ersten Weltkriegs als Strafe für Verluste zahlen mussten. Es herrschte Armut. Deshalb würde eine Partei, die versprach, den Wohlstand zurückzuerlangen, viele Vorteile bringen, so schien es.

Doch diese Partei war nicht demokratisch wie die meisten übrigen. Sie war radikal. Unter der Führung Adolf Hitlers brachte sie nach und nach den Deutschen die Diktatur. Hitler vertrat die ideologische Meinung, "rein" Deutsche gehörten einer bestimmten, anderen Völkern übergeordneten,

Rasse an. Jedoch war diese "Deutsche Rasse" zu dieser Zeit unzufrieden und schwach. Um dafür Rache zu nehmen, wurde der Minderheit der Juden die Schuld für die Misere zugesprochen, da diese sich aufgrund ihrer geringen Größe nicht wehren konnte. Sie wurden ausgebeutet, ihre religiösen Stätten wurden entehrt und Millionen Juden wurden im Zweiten Weltkrieg ermordet.

Man könnte denken, dass dieses Desaster nun sein Ende hat. Leider nein. Es gibt immer noch eine Gruppe an Leuten, die diesen Hass auf Juden verspüren, in einer Zeit, die eigentlich durch friedliches Miteinander geprägt ist. Die Video-Konferenz mit Ben Salomo will deshalb über die Lügen des Antisemitismus aufklären. Er will durch Aufklärung der Gesellschaft helfen, sich gegen Lügen zu wehren. Eine dieser Lügen lautet, dass die Juden besonders reich seien. "Das stimmt nicht", betont Ben Salomo. Auch er selbst sei "leider nicht sehr reich". Diese Lüge stelle die Nazis außerdem vor einen Widerspruch, so Salomo weiter: Die "Rasse der Nazis" halte sich selbst ja für allen anderen überlegen. Allerdings zeige doch der Neid auf den vermeintlichen Erfolg der Juden ein Gefühl der Unterlegenheit gegenüber Juden.

Mit diesem und anderen Beispielen entzieht Ben Salomo einer Lüge nach der anderen den Boden. Dabei haben ein paar Personen, die versuchten, durch inadäquate Äußerungen im Chatraum die Konferenz zu stören, die offene und interessierte Stimmung der gesamten Konferenz kaum getrübt. "Das ist normal", betont Salomo. Wir schalteten jedenfalls unsere Computer gut gestimmt wieder aus. Die sehr persönliche Atmosphäre, die die beiden erzeugten, sowie der abwechslungsreiche Vortrag waren aus unserer Sicht eine große Bereicherung im Video-Unterricht. Die Rap-Begeisterten unter den Schülern haben seine Freestyle-Performance zu Beginn der Konferenz geschätzt; die historisch Interessierten begeisterte der Exkurs zum Thema "Antisemitismus" und dessen Wurzeln, sowie die vernünftige Widerlegung einiger Lügen, und wieder anderen gefiel einfach mal der Austausch mit einem weltoffenen Prominenten. "Durch die Konferenz ist mir noch einmal klar geworden, wie dringend und groß das Thema Diskriminierung auch noch im Jahr 2021 ist. Und dass vor uns noch ein weiter Weg liegt", sagt einer der Zehntklässler im Rückblick.

Anna Bening und Daniel Preißmann, 10d