Es würde niemanden wundern, wenn die Handtasche von Swaantje Dirks aus der Kollektion von Hermine Granger stammt. Die weibliche Heldin aus "Harry Potter" kann ihren Aktivitätendrang nur stillen, indem sie Kurse parallel belegt und mit einem Zeitumwandler die Zeit zurückdrehen und noch mal nutzen kann. Swaantje Dirks holt an diesem Morgen zum "Leibniz-Talk" im Musiksaal der Leibnizschule kein Drei-Mann-Zelt und auch keinen Zeitumwandler aus der Handtasche, sondern nur einen kleinen Protein-Drink. Ihr Aktivitäts-Pensum jedoch ist mit dem von Miss Granger durchaus vergleichbar.
Mit einer Power-Point-Präsentation rauschen die vergangenen 20 Jahre ihres Lebens über das Whiteboard: Jura-Studium in Bayreuth, parallel Vordiplom in BWL und VWL, Rechtsanwältin und Partnerin in einer Frankfurter Kanzlei für Wirtschaftsrecht, Vorsitzende des Schulelternbeirats in der Schule ihrer beiden Söhne - und B-Lizenz-Fußballtrainerin und Jugendleiterin beim SV-Bonames. Eine Jugendmannschaft reicht da natürlich nicht, zurzeit baut sie dort eine Mädchenmannschaft auf. Die Gäste des "Leibniz-Talks" an diesem Morgen sind sichtbar beeindruckt. Wir haben Frau Dirks zur Talk-Reihe eingeladen, weil sie sich unermüdlich für andere einsetzt. Nicht wegen des Geldes. Sondern weil sie als Mensch und als Anwältin sagt: "Ich trainiere die Jungs lieber auf dem Fußballplatz, als dass ich den einen oder anderen irgendwann vor Gericht vertreten muss."
Das ist natürlich verkürzt dargestellt. Aber die Mutter von zwei Söhnen weiß, dass die
Jugendlichen "auf der Straße herumhängen und manchmal auf lustige, aber auch auf nicht so gute Ideen kommen, wenn man ihnen nichts Sinnvolles anbietet." Und Fußball findet die gebürtige Ostfriesin seit ihrer Kindheit mehr als sinnvoll. Nicht nur liebte sie es schon als Mädchen, in der Stadt Norden direkt an der Nordseeküste mit den Jungs zu kicken. Sondern vor allem biete das Training im Verein Jugendlichen auch Ansprechpersonen. "Hier können wir ihnen die richtigen Werte vermitteln. Die können außerdem helfen, bis zu einem Schulabschluss und zu einer Ausbildung zu kommen."
Wen wundert's, dass sie ihre Leidenschaft fürs Kicken an ihre Kinder weitergegeben hat. "Zuerst stand ich als Mutter meines Sohns Sönke am Spielfeldrand und habe zugeschaut." Der Bruder Jannik ist Schiedsrichter. Beim Zuschauen konnte es aber bei Swaantje Dirks nicht lange bleiben. Sie wurde Spielerbetreuerin, verkaufte Imbiss und Getränke, koordinierte Termine für die Eltern. "Dann ging der damalige Trainer und nahm die besten Spieler mit." Er habe gesagt, die übrigen seien spielerisch nicht gut genug. Autsch... So etwas lässt einem Hütehund wie Frau Dirks
keine Ruhe. "Gemeinsam mit meinem Mann habe ich die Mannschaft übernommen, habe direkt die C-Lizenz gemacht." Und, von wegen "nicht gut genug". Ein paar Jahre später schaffte es einer der Jungs in die Regionalauswahl U16/U17, ein paar andere bis in die Gruppenliga. Swaantje Dirks: "Ich hab' halt mit ihnen gearbeitet und an sie geglaubt."
Dieses "Arbeiten" geht bei ihr allerdings weit über Technik-und Taktik-Training hinaus. Den Kern ihrer besonderen Trainer-Arbeit wird Maazullah aus der 8b später zusammenfassen: "Ich find's gut, dass sie die Spieler fragt, ob am Tag irgendwas schiefgelaufen ist, wenn die plötzlich aggressiv im Training werden." Maazullah spielt selbst Fußball im Verein. "Das macht sonst keiner." Fair-Play, Zuverlässigkeit beim Training und den Spielen, Einsatz fürs Team, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, Kontrolle über die eigene Wut zu behalten, das sind Werte, die die 51-Jährige ihren Jungs vermitteln will. "Ich sehe an ihrem Blick während des Spiels, wenn sie gleich eskalieren", berichtet die Trainerin. "Dann hole ich sie direkt raus, damit sie sich selbst wieder beruhigen." Aber einfach in die Kabine verschwinden lässt sie sie auch nicht. "Sie sollen die Mannschaft nicht im Stich lassen." Dazu schätzt sie Ehrlichkeit. "Sie sollen mir lieber sagen, wenn sie kaputt sind oder mal keinen Bock aufs Training haben, statt sich mit Klassenarbeiten zu entschuldigen und dann sehe ich auf TikTok, dass sie im Nordwestzentrum abhängen."
Hat sich durch die Corona-Zeit etwas im Sport verändert? "Oh ja", sagt Swaantje Dirks nach kurzem Überlegen. "Ich habe erst Online-Training für Zuhause angeboten." Sie hätten mit Besenstiel und Wasserflaschen als Gewicht trainiert. Dann auf dem Platz in festen Zweier-Teams. Dadurch hatte der Verein nach Corona einen Riesenzulauf mit über 50 Spielern. Dennoch habe die Zuverlässigkeit seitdem spürbar gelitten. "Viele trainieren jetzt so ,komm' ich heut' nicht, komm' ich morgen'",
berichtet sie und wirkt zum ersten Mal etwas frustriert. "Oder sie verlassen die Mannschaft mitten in der Saison - und die Eltern unterstützen das. Der Sohn habe eben keine Lust mehr, also komme er nicht mehr."
So viel Ich-Bezogenheit macht sie traurig. "Was motiviert Sie denn dann, so viel zu machen?", fragt eine Schülerin. "Das Dankeschön von Spielern oder den Eltern", sagt sie schlicht. Und das kommt über alle Kanäle - per whatsapp von einer Mutter, die ihre Tochter "schon lange nicht mehr so glücklich beim Sport gesehen" habe. Oder über Social Media von einem strahlenden jungen Mann auf dem Rasen mit dem Kommentar "Beste Trainerin, die ich je in meinem Leben hatte, ich danke dir für alles."
Text: A. Schirrmacher Fotos: privat, Aufmacherfoto: Benjamin Klenner